Am 26.07.2023 hat das LG Karlsruhe (Az.: 13 O 46/22 KfH) eine aufsehenerregende Entscheidung zu der Bewerbung von Erzeugnissen mit den Angaben „klimaneutral“ und „umweltneutrales Produkt“ getroffen. Die Entscheidung ist hier abrufbar.

Sachverhalt

Eine Drogeriemarktkette bewarb Kosmetikprodukte ihrer Eigenmarke mit den Angaben „klimaneutrales Produkt CO2-kompensiert“, „umweltneutrales Produkt“ und ähnlichen Angaben. Zusätzlich wurde auf den Verpackungen das Logo der ClimatePartner GmbH sowie die zugehörige Projektnummer in kleiner Schrift angegeben. Wenn man die entsprechende Projektnummer auf der Internetseite der ClimatePartner GmbH eingab, öffnete sich eine Seite mit ergänzenden Erläuterungen, wie die Treibhauskompensation erreicht wird. Konkret wurde ein Waldschutzprojekt in Peru unterstützt, das näher beschrieben wurde. Dieses begann im Jahr 2009 und soll mit Ablauf des Jahres 2040 enden.

Ein Umweltschutzverband erachtete die konkrete Bewerbung der Produkte als irreführend und nahm die Drogeriemarktkette auf Unterlassung in Anspruch. Zum einen wurde beanstandet, dass auf den Produktetiketten keine oder nur unzureichende Informationen zur Erreichung der Klimaneutralität erfolgen. Hinzu komme zum anderen, dass das Climate Partner-Logo in verschwindend kleiner Schrift gehalten und für Verbraucher auch nicht erkennbar sei, dass weitergehende Informationen auf einer entsprechenden Unternehmensseite von www.climatepartner.com zur Verfügung gestellt würden. Dessen ungeachtet gehe der Begriff „klimaneutral“ über das hinaus, was mit Waldschutz erreicht werden könne, da durch Waldaufforstung oder Waldschutz keine dauerhafte CO2-Neutralisierung erreicht, sondern dieses lediglich zeitweise gebunden werde, bis der Baum verbrenne, vermodere oder das eingelagerte CO2 auf andere Weise wieder freigesetzt werde. Die Angabe „umweltneutral“ sei zudem überschießend und auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Erläuterungen irreführend.

Entscheidung

Das Landgericht Karlsruhe bestätigte den Unterlassungsanspruch und entschied, dass die Aufmachung der Produkte und insbesondere die Verwendung der Angaben „klimaneutral“ und „umweltneutrales Produkt“ im konkreten Fall irreführend sind.

Klimaneutral

Einleitend stellte es zunächst heraus, dass die Produktwerbung mit Angaben aus einem komplexen Wirkungsgefüge, wie beispielsweise ökologischen Zusammenhängen zwischen Treibhausgasemission und deren Reduktion bzw. Kompensation, ein hohes Aufklärungsbedürfnis auf Seiten der Verbraucher hervorrufe, der eine umfassende Aufklärungspflicht auf Seiten des Unternehmens gegenüberstehe. Das Interesse an Einzelheiten wachse zunehmend mit dem Maß, mit dem das Thema in das Bewusstsein der Verbraucher rücke. Angaben zur Nachhaltigkeit und Klimaneutralität haben aufgrund der aktuellen Situation einen erheblichen Einfluss auf das Kaufverhalten. Zudem legt der umweltinteressierte Durchschnittsverbraucher auch aufgrund der Medienberichterstattung der letzten Jahre über die Fragwürdigkeit von Kompensationsprojekten inzwischen eine gewisse Skepsis an den Tag, wenn Unternehmen mit der Kompensation von Treibhausgasemission werben, da diese zunehmend im Verdacht des Greenwashings stehen.

Sodann erläutert das Landgericht unter Bezugnahme auf den normal informierten und angemessen aufmerksamen und kritischen sowie an Umweltschutz interessierten Durchschnittsverbraucher, dass der Begriff „klimaneutral“ in seinem Bedeutungsgehalt über eine reine CO2-Kompensation bzw. -Vermeidung hinausgehe. Zwar werde der Begriff der „Klimaneutralität“ im allgemeinen Sprachgebrauch vermehrt als Synonym für CO2-kompensiert verwendet. Jedoch sei hervorzuheben, dass CO2 nicht das einzige klimawirksame Gas sei und auch andere Gase in teils erheblichem Umfang zur Erderwärmung beitragen, was zwischenzeitlich in allen Gesellschaftsschichten weitläufig bekannt sei. Für seine Beurteilung legte das Landgericht in der Folge die Bedeutung im Sinne von „CO2-kompensiert“ zugrunde.

Ausgehend von diesem Begriffsverständnis arbeitet das Landgericht sodann heraus, dass für eine informierte Entscheidung des Verbrauchers folgende Informationen wesentlich sind:

  • Die Angabe, auf welche Schritte im Lebenszyklus eines Produktes sich der Claim der Klimaneutralität bezieht, wobei insbesondere von Interesse ist, ob bestimmte (gasförmige) Emissionen von der Bilanzierung ausgenommen wurden.
  • Die Angabe, ob die Klimaneutralität durch eine Reduktion und/oder Kompensation erreicht wird. Diese Information sei für Verbraucher wesentlich, weil die Emissionsreduktion nur im geringen, die Emissionskompensation hingegen im hohen Maße Greenwashing-Potenzial besitze, was umweltinteressierten Verbrauchern auch bewusst sei.
  • Die Angabe, anhand welcher Kriterien die Prüfung für die Verwendung eines Labels eines Zertifizierungspartners, hier der ClimatePartner GmbH, erfolgt ist, denn Verbraucher, die entsprechende Siegel auch aus anderen Bereichen kennen, wollen abschätzen, wie anspruchsvoll das gewählte Siegel ist und ob man sich darauf verlassen kann.

Diese Informationen müssten leicht zugänglich sein. Diese Anforderungen seien teilweise nicht eingehalten worden. Verbraucher müssten mit zumutbarem Aufwand und ohne große Recherche nähere Informationen über das Siegel erhalten und sich damit die Grundlage für eine informierte geschäftliche Entscheidung verschaffen können. Im konkreten Fall ergebe sich zwar aus der Kennzeichnung eines Teils der beanstandeten Produkte, dass der Weg der Kompensation gewählt worden sei, was teilweise auch unmittelbar im Zusammenhang mit dem Logo der ClimatePartner GmbH angegeben werde. Sonstige als wesentlich identifizierte Informationen würden jedoch auf der Verpackung nicht angegeben.

Dies erfolge erst auf der Internetseite der ClimatePartner GmbH, was grds. ebenfalls zulässig sei. Der Verweis auf eine entsprechende Internetseite müsse aber so gestaltet werden, dass aus der Werbung klar erkennbar werde, dass und wo ein Verbraucher im Internet weitergehende Informationen abrufen könne. Dies sei hier nicht der Fall, weil kein ausreichender Verweis auf eine konkrete Internetpräsenz erfolge. Weder finde sich eine konkrete und vertretbar lange Domain, noch ein entsprechender QR-Code, der einen schnellen Zugang zu einer Internetdomain anbieten würde, auf einem Teil der beanstandeten Produkte. Im konkreten Fall müssen Verbraucher zunächst die ClimatePartner GmbH mit der korrekten Domain im Internet aufsuchen. Sodann muss auf der entsprechenden Seite die Partner-ID eingegeben werden, um an die relevanten Informationen zu gelangen. Der hierfür zu betreibende Aufwand ist nach Auffassung des Landgerichts als zu hoch anzusehen.

Sofern auf den übrigen Produkten zwar eine ausreichende Referenzierung der Zusatzinformationen erfolgt sei, sei die Angabe „klimaneutral“ aber auch unter Berücksichtigung dieser Informationen als irreführend anzusehen, da der Claim in objektiver Hinsicht bei den angesprochenen Verkehrskreisen ein Verständnis wecke, das nicht der Realität entspreche. Denn Klimaneutralität in dem vom Landgericht ermittelten Wortsinn werde durch die von dem beklagten Unternehmen gewährte Kompensationsmaßnahme (Investition in Waldschutzprojekte) nicht erreicht.

Zwar sei der Schutz des Waldes ein wichtiges Mittel zum Klimaschutz. Hieraus lasse sich jedoch nicht schlussfolgern, dass Treibhausgaskompensation über entsprechende Zertifikate auf dem freiwilligen Zertifikate-Markt die Berechtigung dazu verleihen, das kompensierte Produkt als „klimaneutral“ bewerben zu dürfen. Denn der Claim „klimaneutral“ gehe prinzipiell über das hinaus, was mittels CO2-Zertifikaten aus Waldschutzprojekten erreicht werden könne.

Der Begriff verspreche dem Verbraucher ein konkretes Ergebnis und lasse dabei offen, wie dieses erreicht wird. Jedoch müsse die mit der Angabe erfolgte Zusage eines konkreten Ergebnisses, nämlich die Klimaneutralität auch tatsächlich erreicht werden, wenn der Unternehmer mit dieser Angabe wirbt. Erwartet werde daher nicht nur eine bloße Verzögerung der Klimaschädigung, sondern ein endgültiger, dauerhafter bilanzieller Ausgleich.

Diese berechtige Erwartung der Verbraucher werde hier bereits grundsätzlich enttäuscht, denn CO2 besitze unstreitig und allgemein bekannt eine sehr lange Verweildauer in der Atmosphäre, die mehr als 1.000 Jahre betrage. Wald binde und speichere CO2 demgegenüber unstreitig nur vorübergehend. Durch entsprechende Waldschutzprojekte werde sicherlich erreicht, dass mehr Wald für längere Zeit erhalten wird, wodurch für diesen entsprechenden Zeitraum eine höhere CO2-Speicherkapazität zur Verfügung stehe. Dies sei allerdings ein völlig anderer Effekt als der, den der Verbraucher aufgrund des klimaneutral-Claims erwarte. Letzterer weise keine zeitlich begrenzte Komponente auf. Die produktbedingten, anthropogenen, zusätzlichen CO2-Emissionen seien hunderte oder tausende Jahre nachweisbar, wohingegen diese jedoch durch das konkrete Waldschutzprojekt lediglich für wenige Jahrzehnte gebunden und gespeichert würden. Nach diesem Zeitraum sei die vorübergehend ausgeglichene CO2-Bilanz des Produktes wieder unausgeglichen. Solle ein dauerhafter Ausgleich herbeigeführt werden, müsste auch in 100 oder 1.000 Jahren eine entsprechende Waldschutzbemühung unternommen werden.

Umweltneutral

Schließlich sei auch die Angabe „umweltneutrales Produkt“ überschießend und im Ergebnis unzutreffend. Dies werde auch nicht durch den Gesamteindruck der auf der Verpackung enthaltenen oder im Internet bereitgestellten Informationen relativiert.

Verbraucher setzen die Angabe mit der Angabe „ausgeglichene Umweltbilanz“ gleich. Der für die Bewertung durch das Unternehmen herangezogene Greenzero-Ansatz decke unstreitig nicht alle Umweltauswirkungen ab, sondern nur die Kategorien „CO2-Emission“, „Eutrophierung“, „Versauerung“, „Sommersmog“ und „Ozonabbau“. Auch wenn es sich bei diesen fünf Auswirkungen um die „Big 5“ handeln mag, also die Auswirkungen mit den relativ höchsten Umweltkosten, würden jedoch bislang immerhin 8 von 13 Wirkkategorien von Umweltbelastungen weiterhin unberücksichtigt bleiben.

Dieser überschießende Bedeutungsgehalt werde auch nicht durch den auf der Verpackung angegebenen Sternchenhinweis richtiggestellt. Insoweit sei zweifelhaft, dass ein durchschnittlich aufmerksamer Verbraucher den Sternchenhinweis unmittelbar hinter der Angabe „umweltneutrales Produkt“ überhaupt wahrnehmen und sodann die weiteren beiden Sternchen auf der Vorder- und Rückseite der Verpackung entdecken könne, die den Sternchenhinweis auflösen sollen. Denn das Sternchen sei sehr klein und weit an den Rand der nicht formstabilen Verpackung gesetzt und hinter dem groß gesetzten Claim leicht zu übersehen. Es sei daher als unwahrscheinlich zu erachten, dass ein Verbraucher im Präsenzhandel, wenn er mit seiner Hand, die das Produkt hält, zugleich die Verpackung deformiert, das Sternchen noch wahrnehmen kann. Nichts anderes gelte, wenn der Verbraucher im Onlinehandel eben dieses Produktfoto betrachte.

Anmerkung

Die Entscheidung ist, obgleich sie noch nicht rechtskräftig ist, beachtenswert und dürfte auch über den konkreten Einzelfall hinaus für die Lebensmittelbranche beachtlich sein. Die Entscheidung des Landgerichts bestätigt nicht nur, dass der Begriff „klimaneutral“ weiter reicht als die Angabe „CO2-neutral“/ „CO2-kompensiert“, sondern stellt erstmals auch heraus, dass die Kompensation auch tatsächlich dauerhaft erfolgen muss.

Das Argument, dass Klimaneutralität nicht alleine durch Waldschutz erreicht werden könne, weil Wälder keine dauerhafte Kohlenstoffsenke darstellen, mit der weitergehenden Folge, dass die Förderung eines solchen Waldschutzprojektes per se nicht dazu berechtigt, mit der Angabe „klimaneutral“ und demnach mit einer dauerhaften Kompensation zu werben, ist nachvollziehbar und dürfte im Ergebnis zutreffend sein.

Die Argumentation des Gerichtes sollte Lebensmittelunternehmer, die mit der Angabe „klimaneutral“ oder „CO2-neutral“ oder inhaltsgleichen Angaben werben, aufhorchen lassen und dazu veranlassen, sich noch einmal mit der eigenen Begründung für die Verwendung der Angabe auseinanderzusetzen. Denn eine Vielzahl von Lebensmitteln wird aktuell mit entsprechenden Angaben beworben, die nicht selten mit der Beteiligung an entsprechenden Waldschutzprojekten gerechtfertigt werden.

Die vorgenannte Entscheidung dürfte die Diskussion über die rechtmäßige Verwendung von umweltbezogenen Angaben, sowie insbesondere der Angabe „klimaneutral“ weiter anfachen. Lebensmittelunternehmer, die mit umweltbezogenen Angaben werben, sollten diese möglichst präzise formulieren und sowohl auf der Verpackung als auch im Internet in leicht verständlicher und zugänglicher Weise Informationen dazu bereitstellen, wie der beworbene Aspekt erreicht wird. Nur so lassen sich Abmahnungen und Beanstandungen sowie der Vorwurf des Green-Washings vermeiden.

Abzuwarten bleibt, ob die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen oder das beklagte Unternehmen Berufung einlegen wird. Über den weiteren Fortgang werden wir Sie informiert halten.