EuGH-Urteil zur Untersuchung von Geflügelfleisch auf Salmonellen
In seinem Urteil vom 28.04.2022 (RS C-89/21) hatte sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage zu befassen, ob die ausdrückliche Regelung eines Untersuchungskriteriums für frisches Geflügelfleisch im Hinblick auf Salmonella Enteritidis und Salmonella Thyphimurium der Beurteilung von frischem Geflügelfleisch entgegensteht, wenn die zuständigen Behörden andere Salmonella-Serotypen nachgewiesen haben. Die Entscheidung ist hier abrufbar.
Sachverhalt
Im Nachgang zu einer Schnellwarnmeldung zu frischem Geflügelfleisch mit pathogenen Mikroorganismen der Art Salmonella Kentucky führte die zuständige litauische Behörde beim klagenden Unternehmen eine Überprüfung durch, in deren Rahmen zunächst ebenfalls Salmonella Kentucky in frischem Geflügelfleisch nachgewiesen wurde. Daher wurde gegen das Unternehmen eine Geldbuße u. a. wegen Verstoßes gegen Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 festgesetzt.
Mit einer weiteren Verfügung stellte die Behörde fest, dass in von der Klägerin in Verkehr gebrachtem frischem Geflügelfleisch weiterhin Salmonella Infantis vorhanden gewesen seien und untersagte das Inverkehrbringen dieses Fleisches bzw. verpflichtete das Unternehmen dazu, bereits in den Verkehr gebrachtes Fleisch vom Markt zu nehmen.
Das Unternehmen wehrte sich gegen den Bußgeldbescheid sowie die Verfügung. Das zuständige oberste Verwaltungsgericht von Litauen setzte in der Folge das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 und Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 dahingehend auszulegen seien, dass sie den zuständigen Aufsichtsbehörden eines Mitgliedsstaates das Ermessen einräumen, festzustellen, dass frisches Geflügelfleisch, das zwar die Anforderungen nach Anhang I Kapitel 1 Reihe 1.28 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 erfüllt, die Anforderungen nach Art. 14 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 aber gleichzeitig nicht erfüllt, wenn ein unter diese Lebensmittelkategorie fallendes Erzeugnis mit anderen als den in Anhang I Kapitel 1 Reihe 1.28 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 genannten Salmonella-Serotypen kontaminiert ist.
Rechtlicher Hintergrund
Der EuGH hatte sich somit zum einen mit der Auslegung der Vorschriften des Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und zum anderen mit den Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 zu befassen.
Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 regelt die Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit. Nach Abs. 1 dieses Artikels dürfen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in den Verkehr gebracht werden. Dies betrifft nach Abs. 2 sowohl gesundheitsschädliche als auch für den Verzehr durch den Menschen ungeeignete Lebensmittel. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Lebensmittel nicht sicher ist, sind nach Abs. 3 die üblichen Verwendungsbedingungen sowie die dem Verbraucher vermittelten Informationen zu berücksichtigen. Nach Abs. 7 gelten Lebensmittel hinsichtlich der durch etwaige Bestimmungen abgedeckten Aspekte als sicher, sofern spezifische Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zur Lebensmittelsicherheit bestehen und die Lebensmittel diesen Anforderungen entsprechen. Die vom vorlegenden Gericht angesprochene Regelung des Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ermöglicht es den zuständigen Behörden allerdings, trotz der Übereinstimmung mit entsprechenden Bestimmungen geeignete Maßnahmen zu treffen, um Beschränkungen für das Inverkehrbringen von Lebensmitteln zu verfügen oder eine Rücknahme vom Markt zu verlangen, wenn trotz der Übereinstimmung mit den spezifischen Bestimmungen der begründete Verdacht besteht, dass das betroffene Lebensmittel nicht sicher ist.
Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 regelt Gegenstand und Anwendungsbereich dieser Verordnung. Danach werden mit der Verordnung die mikrobiologischen Kriterien für bestimmte Mikroorganismen sowie die Durchführungsbestimmungen festgelegt, die von den Lebensmittelunternehmern bei der Durchführung allgemeiner und spezifischer Hygienemaßnahmen einzuhalten sind. Die zuständige Behörde überprüft die Einhaltung der in der Verordnung festgelegten Bestimmungen und Kriterien unbeschadet ihres Rechts, weitere Probenahmen und Untersuchungen im Rahmen von Prozesskontrollen, in Fällen, in denen der Verdacht besteht, dass Lebensmittel nicht unbedenklich sind, oder im Zusammenhang mit einer Risikoanalyse durchzuführen, um andere Mikroorganismen, deren Toxine oder Metaboliten nachzuweisen und zu messen. Anhang I Kapitel 1 der Verordnung enthält eine Tabelle mit Lebensmittelsicherheitskriterien. Dabei handelt es sich nach Art. 2 Buchst. c) der Verordnung um Kriterien, mit denen die Akzeptabilität eines Erzeugnisses oder einer Partie Lebensmittel festgelegt wird und die für im Handel befindliche Erzeugnisse gelten. Art. 7 der Verordnung betrifft den Umgang mit unbefriedigenden Ergebnissen und regelt in Abs. 2, dass im Falle von unbefriedigenden Ergebnissen bezüglich der Lebensmittelsicherheitskriterien das Erzeugnis oder die Partie gemäß Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen ist. Anhang I Kapitel 1 Reihe 1.28 enthält schließlich ein Lebensmittelsicherheitskriterium für frisches Geflügelfleisch, das jedoch nur Salmonella Typhimurium und Salmonella Enteritidis zum Inhalt hat. Andere Salmonellenarten, insbesondere die vorliegend festgestellten, sind dort nicht geregelt.
Entscheidung
Der EuGH legt Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 dahingehend aus, dass die zuständigen Behörden über die geregelten Kriterien hinaus weitere Probenahmen und Untersuchungen durchführen können, um andere Mikroorganismen, deren Toxine oder Metaboliten nachzuweisen und zu messen. Weiter erläutert der EuGH, dass Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 dieses Ergebnis bestätigt. Danach sei die zuständige Behörde nicht daran gehindert, geeignete Maßnahmen zu treffen, sofern der begründete Verdacht bestehe, dass ein Lebensmittel nicht sicher sei, auch wenn es den spezifischen Bestimmungen entspreche.
Nach Art. 14 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 gelten Lebensmittel, die spezifischen unionsrechtlichen Bestimmungen zur Lebensmittelsicherheit entsprechen, nur hinsichtlich der durch diese Bestimmungen abgedeckten Aspekte als sicher. Der EuGH stellt damit klar, dass aus dem Fehlen spezifischer Bestimmungen zu bestimmten Parametern nicht geschlossen werden kann, dass diese Parameter für die Frage der Lebensmittelsicherheit unerheblich sind.
Den zuständigen nationalen Behörden wird nach Auslegung des EuGH von Art. 14 Abs. 2, 7 und 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 die Befugnis eingeräumt, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Beschränkungen für das Inverkehrbringen von Lebensmitteln zu verfügen oder deren Rücknahme vom Markt zu verlangen, wenn nach Ansicht der Behörden objektiv der begründete Verdacht besteht, dass diese Lebensmittel nicht sicher sind. Dies soll sogar in den Fällen gelten, in denen die spezifischen Bestimmungen eingehalten werden.
Daraus folgt, so der EuGH, dass die Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 nicht dahingehend auszulegen ist, dass sie die zuständige Behörde daran hindert, geeignete Maßnahmen nach Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zu treffen.
Nach alledem sei auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 dahingehend auszulegen sei, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedsstaates eine Lebensmittelkategorie als nicht sicher im Sinne von Art. 14 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 einstufen dürfe, wenn es sich dabei um frisches Geflügelfleisch handelt, in dem andere pathogene Mikroorganismen als die in Anhang I Kapitel 1 Reihe 1.28 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 genannten Salmonella-Serotypen nachgewiesen worden sind.
Anmerkungen
Aus dem Urteil des EuGH folgt zunächst, dass sich ein Lebensmittelunternehmer im Falle mikrobiologischer Untersuchungen nicht damit verteidigen kann, dass die Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 eingehalten wurden, sofern die Untersuchungen weitergehende Parameter betreffen. Andererseits folgt aus der Entscheidung auch, dass im Falle mikrobiologischer Untersuchungen bezüglich anderer Parameter als der Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 die Regelung des Art. 7 dieser Verordnung zu unbefriedigenden Ergebnissen nicht anwendbar ist. Vielmehr stellt der EuGH fest, dass das zuständige nationale Gericht zu prüfen habe, ob das Vorhandensein der nicht in Anhang I Kapitel 1 Reihe 1.28 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 aufgeführten Serotypen zum einen den Verdacht begründet, dass das betreffende frische Geflügelfleisch nicht sicher im Sinne von Art. 14 Abs. 2 bis 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist, und zum anderen die von der litauischen Behörde auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) als „geeignete Maßnahmen“ ergriffenen Maßnahmen rechtfertigt. Es wird also sowohl eine vollständige Prüfung der Lebensmittelsicherheit nach Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 als auch die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gefordert.
In diesem Zusammenhang ist insbesondere bei frischem Geflügelfleisch zu berücksichtigen, dass üblicherweise eine Erhitzung erfolgt, durch die etwaige pathogene Keime abgetötet werden und in der Kennzeichnung sowohl auf die Erforderlichkeit einer solchen Erhitzung als auch auf die Notwendigkeit der Beachtung der Regeln der guten Küchenhygiene hingewiesen wird. Die Regel des Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 spricht somit dafür, dass vorliegend ein sicheres Lebensmittel gegeben ist.
Die Bedeutung der Entscheidung geht allerdings über den konkreten Fall von Salmonellen in frischem Geflügelfleisch hinaus. Auch bei anderen Lebensmitteln ist im Zweifelsfall zu prüfen, ob trotz der Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 tatsächlich ein sicheres Lebensmittel vorliegt, wenn mikrobiologische Untersuchungen andere Parameter betreffen als in Anhang I Kapitel 1 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 geregelt. Vor diesem Hintergrund sollten Lebensmittelunternehmer die Kennzeichnung ihrer Produkte und insbesondere etwaige Sicherheitshinweise dahingehend überprüfen, ob ausreichende Informationen für den Verbraucher vorhanden sind, um das Produkt im Falle eines Nachweises von humanpathogenen Keimen als sicher bewerten zu können.
Redaktion: Christian Weigel